Dass zu lange Arbeitszeiten und hohe Stressbelastung krank machen, ist ein Allgemeinplatz, ebenso wie das Schlagwort, das dagegen helfen soll: „Work Life Balance“. Arbeitsmediziner werden nicht müde darauf hinzuweisen, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Schlaganfälle und auch für Erkrankungen wie Depressionen mit steigender Arbeitszeit zunimmt. Je älter die betroffene Person und je höher die Stressbelastung, desto höher auch das Erkrankungsrisiko. Doch wie lässt sich bemessen, wie schädlich zu lange Arbeitszeiten sind und welche Erkrankungen damit zusammenhängen?
Studie zu Todesfällen infolge langer Arbeitszeiten
Eine aktuelle Studie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) setzte sich mit dem Risiko von koronaren Herzerkrankungen und Schlaganfällen durch zu lange Arbeitszeiten auseinander – publiziert wurde sie 2021 in „Enviroment International“ (Ausgabe 154) unter dem Titel: „Global, regional, and national burdens of ischemic heart disease and stroke attributable to exposure to long working hours for 194 countries, 2000–2016: A systematic analysis from the WHO/ILO Joint Estimates of the Work-related Burden of Disease and Injury“, hier online abrufbar
Damit wurde erstmalig festgestellt, dass es für Personen, die mehr als 55 Wochenarbeitsstunden leisten, ein deutlich erhöhtes Risiko für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle gibt, im Vergleich zu Personen, die 35 bis 40 Stunden pro Woche arbeiten.
Wie definiert man „lange Arbeitszeit“?
Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es internationale Standards zur Arbeitszeitfestlegung: 1919 erstellte die ILO die „Hours of Work (Industry) Convention”, die festhielt, dass die Arbeitszeit von Angestellten 8 Stunden pro Tag und 48 pro Woche nicht überschreiten sollten (mit einigen Ausnahmen). Diese Deklaration wurde 2019 durch die ILO erneuert, um wieder darauf hinzuweisen, wie wichtig die Beschränkung von Arbeitszeiten ist. Dass dieses Thema auch heute noch aktuell ist, liegt daran, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die durchschnittliche Wochenarbeitszeit kontinuierlich sank, aber zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder anzusteigen begann.
Im medizinischen Kontext wird von langer Arbeitszeit gesprochen, sobald die Standardarbeitszeit von 35 bis 40 Stunden überschritten wird – in der zuvor erwähnten Studie wurden etwa drei Gruppen gebildet: 41 bis 48 Stunden, 49 bis 54 und 55 und mehr Arbeitsstunden pro Woche.
Was lange Arbeitszeit so schädlich macht
Schon frühere Studien lieferten Hinweise, dass längere Arbeitszeit mit einer höheren Anfälligkeit für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle einhergeht. Dafür gibt es zwei primäre Gründe: Der erste Grund ist die biologische Reaktion auf psychosozialen Stress. Die übermäßige Ausschüttung von Stresshormonen aufgrund von zu langer Arbeitszeit führt zu Regulationsproblemen im kardiovaskulären System. Der zweite Grund sind die Verhaltensweisen, die die meisten Menschen als Reaktion auf Stress zeigen und die Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellen: Nikotingenuss, Alkoholmissbrauch, ungesunde Ernährung, mangelnde körperliche Betätigung und daraus resultierender schlechterer Schlaf.
Zu den Ergebnissen der Studie
In der Metastudie der WHO und der ILO wurden mehrere tausend vorangehende Studien ausgewertet, die insgesamt 194 Länder betreffen. Aus diesen ließ sich ablesen, dass im Jahr 2016 weltweit rund 488 Millionen Menschen eine Wochenarbeitszeit von 55 Stunden und mehr hatten. Rund 745 000 Todesfälle durch Schlaganfälle und als Folge der koronaren Herzkrankheit ließen sich den langen Arbeitszeiten zuschreiben, was bei koronaren Herzkrankheiten 3,7% der weltweiten Fälle und bei Schlaganfällen 6,9% entspricht. Bei Männern traten diese häufiger auf, wobei die Todesraten bis zum Alter von 70 über alle Länder hinweg anstiegen. In den Jahren von 2000 bis 2016 stieg die Zahl der Todesfälle durch koronare Herzerkrankungen um 41,5% und durch Schlaganfälle um 19 %. Die Studienautoren fordern daher Maßnahmen zur Begrenzung der Arbeitszeit, da sich bisher noch kein anderer Faktor gefunden habe, der einen ähnlich großen Einfluss auf Todesfälle durch Schlaganfälle und koronare Herzerkrankungen habe wie überlange Arbeitszeiten.
Was lässt sich daraus für die Zukunft ableiten?
Lange Arbeitszeiten nahmen laut der Studie von 2010 bis 2016 stetig zu, durch die Ausweitung von Maßnahmen wie Homeoffice, Telearbeit und Rufbereitschaft ist von einer weiteren Zunahme auszugehen. Auch nahm die Arbeitszeit infolge von Rezessionen historisch gesehen immer zu, daher gehen die Autoren auch nach der COVID-19-Pandemie davon aus. Weitere Studien sind erforderlich, um sich damit auseinanderzusetzen, ob die Qualität der Arbeit Einfluss auf die Belastung durch die erhöhte Arbeitszeit hat (in den bisher vorliegenden Studien sieht es nicht danach aus). Weitere Faktoren wie unterschiedliche Arbeitsformen, etwa Schichtarbeit, sollten ebenso in Hinblick auf ihren Einfluss genau untersucht werden, um deren Anteil an Todesfällen durch kardiovaskuläre Erkrankungen bestimmen zu können.
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